Fruchtriesen
Bereits in frühester Kindheit werden bestimmte Geschmackspräferenzen geprägt. Und manche Geschmäcker begleiten uns ein Leben lang, wie z.B. der Kuchen der Oma oder ein besonderes Familiengericht. Damit verbinden wir Positives oder auch Negatives. Dabei muss es sich gar nicht um eine liebevoll zubereitete Speise handeln, auch Süßigkeiten oder Fertiggerichte können für nostalgische Momente sorgen.
Sehr beliebt ist bei den meisten Kindern Süßes. Diese Präferenz verändert sich aber, wir lernen Bitteres zu schätzen, wie dunkle Schokolade, Kaffee oder Bier. Die geliebten Süßigkeiten von früher wecken zwar Erinnerungen an vergangene Zeiten, die Produkte selbst hingegen sind uns heute meist viel zu süß. Ein solcher Klassiker aus der Kindheit sind z.B. Fruchtzwerge.
Wie könnte so ein Fruchtzwerg für Erwachsene aussehen? Er sollte Erinnerungen an früher wecken aber dennoch neue Geschmackspräferenzen berücksichtigen.
Fermentierte Früchtchen
Eine hilfreiche Grundlage dafür ist Lacto-Fermentation oder Milchsäuregärung. Frische Früchte werden mit Salz fermentiert und ergeben eine komplexe + aromatische Grundlage für unsere Fruchtriesen. Nebenbei wird das Obst durch den Fermentationsprozess haltbar. Dabei wandeln Milchsäurebakterien vorhandenen Zucker in Säure um. Das Salz verhindert unerwünschte Mikroben. Wir haben uns saisonale Obstsorten herausgesucht, wie Johannisbeeren, Stachelbeeren und Aprikosen. Die Aprikosen halbieren wir und entfernen die Kerne. Bei den Beeren entfernen wir die Stiele und Blütenreste. Auf das Gesamtgewicht der Früchte geben wir 2 % nicht jodiertes Salz und mischen alles durch leichtes Schütteln. Wir vakuumieren die eingesalzenen Früchte im Vakuumbeutel und im Weckglas. Im Glas behalten die Früchte weitestgehend ihre Form. Die eingesalzenen Früchte stehen für die nächsten 5 – 7 Tage bei Raumtemperatur im Food Lab und beginnen zu fermentieren.
Fermentierte „Milch“
Für unsere Fruchtriesen stellen wir verschiedene Joghurtsorten her, ein Skyr aus Kuhmilch aber auch vegane Varianten aus Hafer- und Kokos- „Milch“. Für den Hafer-Joghurt stellen wir uns eine Hafermilch her, hierfür mixen wir Wasser und Haferflocken in einem Hochleistungsmixer fein, anschließend seien wir die „Milch“ ab. In einen Teil der „Milch“ geben wir Agar-Agar (Agar-Agar besteht zu 70 % aus dem gelierenden Inhaltsstoff Agarose, und zu etwa 30 % aus dem nicht gelierenden Agaropektin). Diesen Teil der „Milch“ erwärmen wir kurz, in die restliche „Milch“ geben wir die veganen Joghurtkulturen (Inhaltsstoffe: Maltodextrin (Bio-zertifiziert) Streptococcus thermophilus, Lactobacillus delbrueckii subsp. Bulgaricus). Sobald die erwärmte „Milch“ auf 36 °C abgekühlt ist, geben wir die Joghurtkultur-„Milch“ dazu und mischen diese. Um den Kulturen die optimalen Bedingungen zu bieten, nutzen wir einen Joghurt-Bereiter. Dieser hält über 18 Stunden konstant eine Temperatur von 42°C. Wir füllen die geimpfte „Milch“ in Gläser und stellen sie für 18 Stunden in den Joghurt-Bereiter.
Anschließend binden wir den Hafer-Joghurt noch mit Johannisbrotkernmehl (Johannisbrotkernmehl wird aus den Samen des Johannisbrotbaums gewonnen) ab. Dieses rühren wir unter den abgekühlten Joghurt und lassen die Masse für 1 Stunde quellen. So bekommen wir eine cremigere Konsistenz. Für den Kokos-Joghurt verfahren genauso. Für unseren Skyr nehmen wir uns eine frische Heumilch und einen Natur-Skyr um diese zu Impfen. Nachdem wir die Heumilch geimpft haben, füllen wir diese in die Gläser und lassen auch diese Joghurt-Masse für 16 Stunden fermentieren. Anschließend geben wir die Joghurt-Masse in ein Tuch und lassen sie für 30 Minuten abhängen, hierbei fließt die überschüssige Molke ab. Dadurch wird die Masse fester. Die Molke kann direkt getrunken oder für Drinks oder Suppen verwendet werden. Den Skyr müssen wir nicht binden, dieser hat bereits eine cremige Konsistenz.
Die Kraft der zwei Fermentationen
Unsere Früchte fermentieren kräftig vor sich hin, der Vakuumbeutel mit den Johannisbeeren bläht sich deutlich auf. Die Aprikosen und Stachelbeeren in den Gläsern sind noch aktiver, es ist deutlich mehr Blasenbildung zu sehen.
Bei der ersten Verkostung sind wir ziemlich überrascht, was Milchsäure mit Früchten so anstellen kann. Eine angenehme Säure und ein leichtes Prickeln liegen auf der Zunge, was die natürlichen Aromen der Früchte sehr gut unterstützt. Der Geruch der Gärung ist allerdings recht streng. Alle drei Sorten sind trotz der Fermentation noch sehr knackig. Die Früchte mixen wir sortenrein zu einem feinen Mus und drücken dieses durch ein Sieb. Den Hafer-Joghurt mischen wir mit Johannisbeer-Püree. Den Skyr mit Aprikose, Johannisbeeren und Stachelbeeren. Den Kokos-Joghurt mischen wir mit Kurkuma und Curry. Die Farbe ist intensiv und erinnert an buntes Kinderessen, geschmacklich gehen wir aber neue Wege und verbinden diese nostalgischen Erinnerungen mit würzigen Aromen, die wir mit Aprikose kombinieren. Speisen werden oft auf Basis der Farbe beurteilt, denn visuelle Eindrücke dominieren unsere Wahrnehmung. Ein Weißwein, der mit neutraler Lebensmittelfarbe rot eingefärbt wurde, haben in einem Experiment selbst Experten mit roten Aromen beschrieben.
So wertvoll wie ein großes Beet
Fruchtsäfte werden meist ebenfalls entsprechend der Farbe einer Frucht zugeordnet, selbst wenn der Geschmack nicht der assoziierten Frucht entspricht. Wir schmecken sozusagen auch Farben. Geschmack ist eben immer multisensorisch, alle Sinne bestimmen mit was wir schmecken. Ob wir Kindern auf diese Weise bunte Gemüsejoghurts unterjubeln könnten ist dennoch fraglich, der Geschmack weicht vermutlich zu sehr von den durch die Farbe antizipierten Eindrücken ab, aber ein Versuch ist es wert! Rote Bete, Karotte, Spinat, Petersilie oder Rotkohl könnten zumindest farblich begeistern – Fruchtzwerge, so wertvoll wie ein großes (Gemüse-) Beet.
Wir genießen erstmal unsere Fruchtriesen, die Fruchtzwerge unserer Kindheit sind dafür dank Fermentation mit uns erwachsen geworden. Fruchtig aber nicht zu süß, cremig aber auch vegan, bunt aber mit überraschend würzigen Komponenten: Echte Fruchtriesen eben.