Gemüse ist mein Fleisch
Fleisch ist mein Gemüse war früher – heute gilt Gemüse ist mein Fleisch. Längst ist auch in Deutschland angekommen, dass ein Essen auch ohne Fleisch wohlschmeckend und vollwertig und umgekehrt auch mit Fleisch fade und einseitig sein kann.
Fleischfrucht statt Fruchtfleisch
Wir haben bereits etwas mit Gemüse herumexperimentiert und sind zwar nicht unbedingt überzeugt davon, dass sämtliche Fleischprodukte mit Gemüse nachgebaut werden müssen, allerdings kann es durchaus zu interessanten Anregungen kommen. Man kann natürlich auch Gemüsegerichte mit Fleisch nachahmen und das wurde auch schon gemacht. Bekannt ist z.B. Heston Blumenthals Fleischfrucht, die auf einem historischen Rezept beruht.
Fruchtfleisch, Gemüsefleisch, veganes Fleisch
SO ungewöhnlich ist das alles gar nicht. Einige Köche haben sich bereits an derartige Experimente gewagt und neben veganen Burger Patties oder Carpaccio von Roter Bete gibt es einige Rezepte, die nicht einfach Fleischgerichte mit Gemüse imitieren, sondern etwas eigenes Unnachahmliches schaffen. Manche Köche haben mit solchen Gerichten nicht nur in kulinarischen Kreisen Aufmerksamkeit erregt. Beispiele sind ein Karotten Tartar aus dem Eleven Madison Park, ein Sellerie Shawarma aus dem Noma oder ein Wassermelonen Carpaccio aus dem Mugaritz.
Ob Fleisch oder Gemüse: Es ist Wurst
Rezepte für Würste aus Gemüse wurden schon in Kochbüchern des 17. Jahrhunderts erwähnt, damals ging es um Ersatzprodukte für die Fastenzeit. Wir wollen uns an Beef Jerky – mariniertes, getrocknetes Rindfleisch – heranwagen und diesen bei uns, im Gegensatz zu den USA oder Südamerika, weniger bekannten Snack ohne Fleisch zubereiten. Stattdessen verwenden wir Karotten und Wassermelone. Zusätzlich kommt nochmals die Rotalge Dulse zum Einsatz, die für zusätzliche geschmackliche Tiefe sorgt.
Wir erhitzen einen Topf mit Öl bis kurz vor den Rauchpunkt und tauchen mit einer Pinzette die trockenen Algenblätter für wenige Sekunden in das Öl. Dabei wechselt die Farbe von einem tiefen Dunkelrot in Sekunden in ein Graugrün, geschmacklich ergibt sich dadurch eine speckige Note. Die ist deutlich intensiver als bei unseren ersten Experimenten mit Dulse für unseren Brühwürfel. Die Algenblätter geben wir mit Salz und braunem Zucker in den Mixer. So entsteht eine intensive Marinade.
Neben „normalen“ Karotten verwenden wir eine Urkarotte. Diese schälen wir, schneiden sie in 1,5 cm dicke Scheiben und geben die Stücke mit unserem Rub in Vakuumier-Beutel. Gegart werden die Karotten bei 90° C für 45 Minuten und die Melonen ebenfall bei 90° C aber nur für 15 Minuten. Anschließend werden die Stücke im Dörr-Ofen getrocknet und – um eine optimale Luftzirkulation zu gewährleisten – auf kleine Haken gehängt. Den Sud aus den Beuteln reduzieren, pürieren und passieren wir. Darin vakuumieren wir das Gemüse Jerky erneut, aber diesmal im reduzierten Sud.
Nach einem Tag spießen wir die Jerks wieder auf die Haken und hängen sie zum Räuchern mit einer Smoke Gun in einen Glaskasten, hier ruhen sie für ca. eine Stunde in leichtem Rauch von Apfelholzspänen. Dadurch betonen wir die speckigen Aromen der Dulse-Alge.
Weder Fisch noch Fleisch
Anschließend hängen wir die Jerks wieder in den Dörr-Ofen. Dort trocknen sie für 13 Stunden bei 36° C.
Das Gemüse Jerky durch die verschiedenen Prozesse im Inneren eine fast cremige Konsistenz erhalten und haben durchaus eine fleischige Struktur. Die Karotten sind leicht süßlich geworden, die Melone hat den Rauchgeschmack gut angenommen. Der am Anfang sehr starke Speck-Geschmack der frittierten Dulse hat sich bei allen drei Sorten nicht in den Vordergrund gestellt, er ist aber in Nuancen vorhanden. Neben einer speckigen Note kam mit der Alge auch ein „meerig-fischiges“ Aroma mit rein. Das hat unsere kleine Testrunde etwas irritiert. Allerdings war einer aus dem Team wirklich begeistert, weil ihn dieser Snack an getrockneten Fisch aus seiner Heimat erinnert hat. Das zeigt mal wieder wie elementar kulturelle Prägungen für Geschmack sind. Ob Fisch oder Fleisch, Gemüse ist einfach unglaublich wandelbar. Besonders was die Texturen angeht gibt es hier noch viel zu entdecken. Wir werden Gemüse daher weiterhin mit besonderer Aufmerksamkeit zubereiten.