Das Eis ist heiß
Große Träume haben die Menschheit immer wieder angetrieben, motiviert und inspiriert, um ungeahntes zu erreichen und um die Welt, in der wir leben, zu bereichern und zu verändern. Fliegen ist ein solcher Traum. Ein weiterer großer Traum, zumindest in der kulinarischen Welt, ist heißes Eis.
Wir hängen dabei aber weniger molekularen Träumen der 1990er hinterher, unser Vorhaben hat einen kindischen Grund. Ja, wir spielen und experimentieren gern aber so kindisch ist der Grund doch nicht. Es geht um einen Kinderwunsch. Ein kleiner Junge aus dem Food Lab Freundeskreis träumt von heißem Eis. Weshalb es heißes Eis noch immer nicht als eigene Sorte an jeder Eisdiele gibt haben wir genauer untersucht.
Heiß, heißer, heißes Eis
Eiscreme besteht klassischerweise aus Milch oder Sahne, Zucker und Ei sowie Aromazutaten wie Vanille. Das Zusammenspiel der Zutaten und deren technische Verarbeitung sorgen für den zarten Schmelz. Gefrorene Sahne wäre sehr hart. Zucker hilft, um eine weichere gefrorene Masse zu erhalten. Mit Eigelb gebundene Sahne erhöht die Cremigkeit und ständiges Rühren beim Einfrieren sorgt für feinere Eiskristalle und damit ein softeres Mundgefühl. Flüssiger Stickstoff friert mit etwa – 200°C so schnell, dass dadurch ebenfalls sehr kleine Kristalle entstehen.
Nur wie lässt sich das auf heißes Eis übertragen?
Wie könnte also heißes Eis beschaffen sein? Wie eine dicke Béchamel oder eine Art Marshmallow Masse? Etwas Recherche führt uns zu verschiedenen Varianten von heißem Eis.
- Eine recht einfache Variante spielt mit der Wahrnehmung des Trigeminalnervs. Dazu wird Eis bzw. Sorbet hergestellt mit Chilis als reizende Zutat (da der Effekt vom fettlöslichen Capsaicin ausgelöst wird, ist der Effekt bei Eis auf Wasserbasis intensiver). Der durch das Capsaicin ausgelöste Schmerz irritiert die Wahrnehmung, das Eis ist wirklich „hot“ also scharf. Das Capsaicin aktiviert dieselben Schmerzrezeptoren, die auch durch Hitze aktiviert werden, daher empfinden wir Hitze trotz Kälte.
- Eine zweite Variante ist vielleicht eher aus dem Schulunterricht bekannt. Dafür wird Natron in Essig eingerührt und das Ganze für ca. 20 Minuten bei mittlerer Hitze aufgekocht. Daraus entsteht Natriumacetat. Sobald die Flüssigkeit verkocht ist, nehmen wir den Topf von der Hitze und beobachten eine leichte Kristallisation. Die Kristalle lassen wir 30 Minuten abkühlen und geben anschließend ein wenig Wasser dazu. Die Kristalle lösen sich im Wasser wieder auf. Im Normalfall bleibt die Flüssigkeit so lange klar, bis sie mit dem Finger angestoßen wird. Dieser Effekt ist bekannt von Taschenwärmern, die genau nach diesem Prinzip funktionieren. Dort wird ein Metallplättchen geknickt. Unser Essig-Natron Gemisch hat nach mehrmaligen Versuchen leider nicht den erwünschten Effekt gezeigt, in den Petrischalen konnten wir dennoch eine sehr schöne Kristallisation beobachten. Na gut, wir sind ja nicht mehr im Schulunterricht und wollen uns außerdem kulinarischen Experimenten mit Geschmack widmen. Denn selbst wenn es funktioniert ist das Eis zwar warm und sieht gut aus, basiert aber eben auf Essig und Natrium, was leider nicht gerade zu unsere Lieblingseissorte gehört.
- Vielversprechender scheinen Varianten zu sein, die Methylcellulose nutzen. Im Grunde ist die Marshmallow / Béchamel Idee nicht total absurd, denn Methylcellulose ist eine Möglichkeit warme Flüssigkeiten stark zu binden.
Kleister für mehr Mundgefühl
Methylcellulose bindet Flüssigkeiten und ist Bestandteil von Tapetenkleister. Klingt wenig kulinarisch und ist wie Zellulose (pflanzliche Zellwände) unverdaulich und weder allergen noch giftig. Es ist als E 461 als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen und dient als Emulgator, Stabilisator oder Verdickungsmittel ob in Cremes, Mayonnaisen oder auch normalem Eis. Für uns ist es perfekt, weil es bei Erhitzung geliert und beim abkühlen die gelierende Eigenschaft verliert und dadurch Eigenschaften von Eis umkehrt. Dieses tolle Produkt hat übrigens legendäre Filmszenen ermöglicht und wird angeblich auch in anderen Filmindustrien als Ersatzprodukt verwendet.
Einmal gepoppt…
Um mit der Idee von warm/kalt auch geschmacklich zu spielen wollen wir ein Popcorn Eis herstellen. Dazu poppen wir Mais im Topf, geben für den typischen Geschmack etwas Zucker hinzu und lassen diesen karamellisieren. Die ganze Küche riecht nach Popcorn. Nun muss das Aroma ins Eis, wir erhitzen Popcorn mit Sahne und lassen diese für ca. 20 Minuten bei mittlerer Hitze leise kochen. So gehen Geschmack und Aromen vom karamellisierten Mais in die Sahne über. Wir lassen die Sahne komplett auskühlen und passieren sie anschließend durch ein feines Sieb. Mit dieser Basis können wir nun die Eismasse vorbereiten. Wir geben Milch, braunen Zucker, Wasser und Methylcellulose dazu. Die Masse mixen wir kräftig durch. Beim Mixen lassen sich die Eigenschaften der Methylcellulose beobachten. Die Konsistenz wirkt cremig fast leicht schleimig. Methylcellulose braucht eine gewisse Zeit, um ihre Wirkung richtig zu entfalten. Wir lassen dafür die Eismasse für 24 Stunden im Kühlschrank durchziehen. Nun wird sich zeigen, ob der Kindertraum ein Traum bleibt oder wir uns ab jetzt als Traumerfüller bezeichnen dürfen.
Für das „Eis“ kochen wir Wasser auf und geben mit einem Eisportionierer Kugeln ins heiße Wasser. Die Kugel bildet sofort eine Haut und schwimmt an der Wasseroberfläche. Wir wenden sie ein paar Mal und können dann probieren. Bei der Geschmacksprobe wird uns leider klar, dass der Traum ein Traum bleiben wird.
Der Popcorn-Geschmack ist präsent, der Zuckergehalt ausgeglichen. Aber die Konsistenz ist nicht die Konsistenz, die ein Kind sich oder wir uns als Eis wünschen. Eine wabbelige, gummiartige, schnittfeste Textur. Sobald wir die Kugeln aus dem heißen Wasser nehmen, fallen sie leicht in sich zusammen und ziehen eine Haut. Manche Träume müssen wohl Träume bleiben – wir experimentieren aber weiter und leben so unsere Träume!