Über den Kampf gegen Traditionen
„Das ist absolut crazy was wir machen“, sagt Philipp Neveling von Ebb & Flow Keg, einem Start-up das Wein in Fässern vertreibt. Warum das kein Selbstlob ist, erfahrt ihr im Interview.
Can aus dem Food Lab hat mit Philipp, einem der beiden Gründer über das Thema Tradition in der Weinbranche geredet und wie aus Unzufriedenheit mit der Weinbranche eine Firma – mit EU-Biosiegel – für Weine in Fässern wurde.
Can: Soweit ich weiß, habt ihr direkt aus eurem Studium in Geisenheim [Führende Hochschule für Weinbau und Oenologie, Anmerkung der Redaktion] gegründet, oder?
Philipp: Quasi. Ich war schon 3 Jahre raus, Deandra [die Mitgründerin, Anmerkung der Redaktion] war kurz vorm Abschluss. Sie hatte schon in der Manhattan City Winery mit Kegs gearbeitet. Ich hatte irgendwie keinen Bock mehr auf den Job, den ich damals gemacht habe. Und dann haben wir gesagt, „Hey, lass uns doch auch eine Weinbar in Frankfurt aufmachen, wo genauso wie auch in New York alles in Mehrweg Edelstahlfässer gefüllt wird und für die Kundinnen und Kunden gezapft wird. Alles lokal, auch so ein bisschen Zero-Waste mäßig.“ Dann kam die ganze Recherche dazu, wo wir dann festgestellt haben: Es gibt hier so gut wie nichts an Weinen hier in Fässern. Es gibt keine Infrastruktur dafür, also Leute, die Weine in Kegs füllen. Wer reinigt überhaupt die Fässer? Also da war irgendwie nicht so richtig ein verbindender Punkt und deswegen haben wir gedacht, dass es in Zukunft bestimmt nicht nur für uns interessant ist, sondern auch für viele andere Gastronominnen und Gastronomen und Caterer. Und dann sind wir wirklich gestartet mit der Idee von Ebb & Flow Keg.
Tradition fällt nicht einfach vom Himmel
Und (wie) hat sich der Markt seitdem verändert?
Naja, verändert…die Industrie hat sich vielleicht weiterentwickelt. Ich denke schon, dass wir ein stückweit dazu beigetragen haben, es wurde auch schon in einigen Weinfachmagazinen über uns geschrieben und wir haben schon viel Feedback bekommen, auch von teilweise den den größten Wein-Playern in Deutschland mit riesigen Füllstätten. Die sind zu uns gekommen, haben mit uns gesprochen und haben sich einfach interessiert für das Thema. Es waren auch immer sehr, sehr interessante Gespräche.
Aber deswegen haben wir auch gegründet, weil wir unglücklich mit der Weinindustrie in Deutschland waren, so wie sie stattgefunden hat und wie sie eigentlich auch weiterhin stattfindet. Das ist alles sehr klassisch, sehr traditionell. Wir konnten uns da nicht so richtig drin verorten und wir waren einfach nicht so richtig happy damit wie das alles abgelaufen ist. Tradition ist ja eine schöne Sache, aber Tradition muss man pflegen und darf nicht, darf sich ausruhen. Und Tradition kann man auch weiterentwickeln, die fällt nicht einfach vom Himmel.
Würdest sagen, dass die Industrie heute offener ist als vor 5 Jahren gegenüber dem Thema Wein in Kegs?
Solche Bretter, das sind dicke Bretter, die man da bohren muss. Aber ich denke schon, dass es eine gewisse Öffnung gegeben hat dafür, ja. Die eben erwähnten Gespräche haben schon dazu beigetragen, dass man vielleicht ein bisschen mehr über das Packaging generell spricht.
Gibt es denn für eure Kegs Weine, die sich besser oder schlechter anbieten oder kann ich jeden Wein in so ein Fass packen?
Du kannst jeden Wein, ob es jetzt was prickelndes ist wie ein Secco, eine Weinschorle, ein Naturwein oder ein normaler Weißwein/Rose/Rotwein in unsere Fässer füllen.Wir haben auch schon alles geführt.
Sensorisch wie analytisch gibt es keinen Unterschied
OK, das bedeutet jetzt, wenn ich jetzt so ein oldschool Weinhändler bin, der sagt, „Ich brauch das alles in meinen Flaschen und das schmeckt irgendwie besser“, dann sagt ihr quasi „Nee, das ist 1 zu 1 das gleiche, ob das jetzt in einem Keg oder in der Flasche gelagert wird“?
Genau. An der Hochschule Geisenheim wurde sogar eine Bachelorarbeit darüber geschrieben, wo jemand die Lagerung in Kegs verglichen hat über einen Zeitraum von etwa 2 Monaten und dann immer wieder mit einer Flasche verglichen hat. Und da gab es sensorisch gar keinen Unterschied. Also sensorisch wie auch analytisch.
Ihr habt aus einem Nachhaltigkeitsgedanken gegründet, aber gibt es denn noch andere Vorteile von Wein in Kegs – außer der Nachhaltigkeit?
Sehr gute Frage und wichtige Frage. Wir haben damals sehr naiv gedacht, dass es doch so viele wegen der Nachhaltigkeit machen. Das interessiert natürlich die meisten gar nicht.
Es gibt mehrere Vorteile. Generell ist der Ausschank viel schneller, viel sauberer, er benötigt viel weniger Platz, also nur was man hat eine Lagereinsparung von 50% gegenüber 0,75 Liter-Glasflaschen. Und dann dann hat man eben optimale Kühltemperaturen, der Wein kommt immer kühl raus. Das ist besonders im Bereich von größeren Gastronomien wichtig und schwieriger mit Gläsern. Und drittens bleibt der angebrochene Wein länger frisch. Also wenn ich zum Beispiel an einem einen Samstag einen Secco öffnen würde aus der Flasche, dann ist am Mittwoch natürlich keine Kohlensäure mehr da. Das ist nicht der Fall, weil bei unserem Secco könntest du direkt wieder perfekt zapfen.
Die junge Generation trinkt viel weniger als früher
Ihr als Firma stellt aber nichts her, richtig? Also ihr habt keine Technologie erfunden, kein Patent auf irgendwas?
Richtig. Wir verbinden eigentlich sehr, sehr viel miteinander. Wir haben quasi unseren Platz neu erfunden. Weder die Kegs noch eine speziell eine Schanktechnik haben wir entwickelt, wir sind “nur“ diejenigen, die das alles miteinander verbinden und schon bestehende Dinge, die auf dem Markt sind, nachhaltig anbieten möchten.
Als wie groß würdet ihr denn euren Markt bezeichnen?
Wir wissen, dass ungefähr 15 bis 20% der Weine, die in Deutschland verkauft werden, in der Gastronomie verkauft werden. So, und das ist erstmal das Interessanteste für uns, das ist der Einstiegsmarkt, das ist schon also 15 bis 20% ist schon mal.
Wie entwickelt sich der Konsum von Wein in Deutschland?
Generell eher stabil bis minimal steigend. Und alles andere, also Bierkonsum etc. geht seit Jahrzehnten runter. Alkoholkonsum im Allgemeinen auch wenn wenn man jetzt mal bei den jüngeren Generationen nachguckt, rein statistisch trinken die viel weniger als früher.
Und wie geht ihr mit dem Thema alkoholfreie Weine um?
Momentan sind wir noch nicht so überzeugt von alkoholfreien Wein. Das Thema ist definitiv wichtig für uns – das ist jetzt nicht die Cash-Cow – aber wir versuchen immer mal wieder zu gucken was geht.
Gibt es irgendeine Challenge in Eurem in den letzten 5 Jahren, die euch so komplett überrascht hat?
*lacht* Wir waren auf so viele Dinge nicht vorbereitet. Also ich hasse das Wort zwar, aber so ein bisschen die klassischen Sachen aus dem Unternehmertum. Du musst da manchmal einfach die Big Pants tragen und bisschen Druck machen, sonst passiert nichts.
Das hat uns vielleicht nicht so überrascht, aber wenn staatlich zum Beispiel einfach mal festgelegt würde was mit den Weinflaschen passiert ist verständlich bis zu einem gewissen Maß, aber wir müssen da irgendwie auch Alternativen schaffen. Sei es eine Verpflichtung zu einem gewissen Mehrweganteil, z.B. 10% der Weine, die ihr verkauft, die müssen irgendwie ein Mehrweggebinde sein. Das fängt auf EU-Ebene an, also sprich in Spanien, Frankreich und Italien, also die größten produzierenden Länder überhaupt, die bilden da schon eine Front gegen. Da gibt es wenig Gewilltheit da irgendwie was an dem Status quo zu ändern.
Was das Thema Recycling und Pfand angeht?
Ja, das ist eben dieser krasse Irrsinn dabei. Eine Weinflasche braucht unglaublich viel CO². Du brauchst unglaublich viele Materialien. Angenommen der Wein wird gefüllt im Januar, dann ist der Mitte Februar im Handel, dann kauft die jemand und Ende Februar wird die Flasche wieder weggeworfen. Also die hat einen Zyklus von 4/5 Monaten von Herstellung bis Abfall. Das ist halt doch verrückt, absolut crazy, was wir da eigentlich machen!
Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung von Ebb & Flow Keg und bedanken uns fürs Interview.